BAUKUNST: FRANKFURTER TOR EINS.

DESIGN MADE IN GDR.

Wie die Architektengruppe TICKET B in einer Berliner 4-Zimmer-Wohnung DDR-Wohndesign erfahrbar macht.

von Thomas Krüger / Ticket B

Als Prachtboulevard nach Moskauer Vorbild erzählt die Karl-Marx-Allee mit ihren fast 3000 Wohnungen die Geschichte des Wiederaufbaus im geteilten Berlin auf sozialistische Art.

 

Von 1952-1960 wurde diese einzigartige repräsentativ-monumentale Wohnstraße entlang der kriegszerstörten Frankfurter Straße in Ost-Berlin errichtet und ist heute auf dem Weg zum UNESCO-Welterbe. Gemeinsam mit dem zeitgleich entstandenen Hansaviertel in West-Berlin sind beide Wohnanlagen der architektonische Ausdruck ihrer jeweiligen politischen Systeme.

 

Der Kommunismus demonstrierte den angestrebten Sieg der Arbeiterklasse durch ein herrschaftliches Gesicht mit Säulen und Ornamenten aus dem Formenrepertoire feudaler Schlossarchitektur. Der kapitalistische Westen knüpfte an die Themen von Licht, Luft und Sonne in Form der offenen, durchgrünten Stadtlandschaft der Bauhaus-Zeit an.

 

Seit Frühjahr 2023 gibt es im 10. Stock in einem der markanten Doppeltürme von Architekt Hermann Henselmann am Frankfurter Tor eine Modellwohnung, die zeigt, dass Architektur und Design in der DDR-Zeit viel komplexer zu betrachten sind und sich nicht auf den Zuckerbäckerstil der ehemaligen Stalinallee reduzieren lassen.

 

Die Architekten und Gestalter der Nachkriegszeit in Ostdeutschland waren zur Zeit des Bauhaus ausgebildet und sozialisiert worden. Während sich die Protagonisten der Nationalen Tradition (Anmerk. der Redaktion: Eine Baukunst zwischen 1950 und 1955, die das offizielle Baugeschehen in der frühen Deutschen Demokratischen Republik bestimmte) dem neoklassischen Stil in der Architektur und im Städtebau unterordneten, bot der Möbelbau viel mehr Möglichkeiten, an die Tradition der Klassischen Moderne anzuknüpfen.


So ist dafür z.B. der in den 50er Jahren entwickelte reine Schichtholzstuhl “50642“ von Erich Menzel ein perfektes Beispiel: Aus bis zu 29 verleimten Schichten bestehend, muss er sich in Formschönheit und Stabilität den Vergleich zu Alvar Aaltos berühmteren Sitzmöbeln nicht scheuen.

 

Auch der unvergleichlich gemütliche Clubsessel von dem Bauhaus-Schüler Selma Selmanagic oder die elegante Möbelserie 602 von Franz Ehrlich, sowie die bequeme Version des berühmten Barcelona-Chair-Freischwingers von Mies van der Rohe. Der von Rudolf Horn in kleiner Serie produzierte Ledersessel schwang im Gegenzug wirklich.

 

All das sind seltene Einzelstücke, die im FRANKFURTER TOR 1, neben Sesseln, Stühlen, Lampen, Teppichen und Sideboards aus der VEB Deutsche Werkstätten Hellerau, zu sehen sind. An den Wänden hängen Holzschnitte von Jürgen Wittdorf oder das berühmte Bild „Am Strand“ von Walter Womacka aus dem Jahre 1962, das damals jedes zweite Wohnzimmer in der DDR zierten. Abseits der üblichen Politpropaganda strahlen sie mit ihrem ungewohnt melancholischen Optimismus das Lebensgefühl der Jugendlichen in der DDR aus. Der Besucher hat hier die einmalige Gelegenheit, ostdeutsche Geschichte ästhetisch und emotional zu begreifen. Inklusive einem fantastischen Ausblick über die Stadt.


Die von dem Architekten Thomas M. Krüger bewohnte Wohnung wurde von dem Designer, Sammler und Ex-Clubbesitzer Stephan Schilgen von kstar-design/Fundus Berlin eingerichtet und steht auf Anfrage für Besichtigungen und Vermietungen zur Verfügung. FRANKFURTER TOR 1 kann auch im Rahmen von Stadtführungen durch TICKET B. besucht werden.

 

Instagram: frankfurter.tor.eins



Zu BAUKUNST und TICKET B:

Unsere Architektur-Kolumne BAUKUNST entsteht in Kooperation mit TICKET B – einem Team aus Architekten, Professorinnen, Dozenten und Fachautorinnen, die Ihnen spannend und authentisch zeitgenössisches Baugeschehen in Deutschland mit Führungen und Reisen vermitteln. Mit vielschichtigem Bild auf Stadt und Bau lädt TICKET B zu neuen Sichtweisen auf Architektur ein. Neben Entwurf und Konzept werden auch immer gesellschaftspolitische sowie historische Zusammenhänge beleuchtet, die das Thema Architektur auch für den Laien gut erschließen und zeigen was Bauten meist sind: Zeitzeugen. Mehr zu TICKET B und den aktuelle Führungen und Reisen finden Sie hier:

 

www.ticket-b.de


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