Salongespräche: Alles Faust!

Eduard von Grützner "Mephisto" (Detail, gespiegelt u. koloriert),  1872 67 x 54 cm Öl/Leinwand © Münchner Stadtmuseum
Eduard von Grützner "Mephisto" (Detail, gespiegelt u. koloriert), 1872 67 x 54 cm Öl/Leinwand © Münchner Stadtmuseum
© Kunsthalle München, Foto: Michael Naumann / Tiefenpixel
© Kunsthalle München, Foto: Michael Naumann / Tiefenpixel

Wir hier in Berlin denken ja gerne, in Sachen Kunst und Kultur state of the art zu sein. Vielleicht kann man nicht immer widersprechen, aber was München gerade mit dem Faust-Festival vorlegt, ist ein neuer Weg. Ein neuer Weg Hochkultur zu verstehen, zu konsumieren und auch für ein jüngeres Publikum zu erschließen. Ein neuer Weg, der gerne Standard werden darf.

 

Seit Februar steht die bayrische Hauptstadt ganz im Zeichen von Goethes Faust: ob Ausstellung, Filmvorführungen oder Party – in mannigfaltiger Vielfalt wird sich dem bekanntesten Werk der deutschen Literatur genähert. (Wenn Sie jetzt ob Ihrem Halbwissen nervös werden und versuchen, sich im Geiste Ihr zerkritzeltes Reclam-Heft vor Augen zu führen – Sie sind nicht allein.) In der Schule verhasst, hallt das Werk, zumindest bei uns, noch heute im tiefsten Inneren nach: Faust. Faust. Faust. So deutsch. So schwer. So dunkel. So unverständlich und doch relevant.

 

Das Kernstück des Festivals ist die Ausstellung DU BIST FAUST - Goethes Drama in der Kunst  in der Kunsthalle München. Goethes Faust hat seit seiner Veröffentlichung im frühen 19. Jahrhundert unzählige Künstler zu eigenen Schöpfungen inspiriert. Zu sehen sind u.a. Gemälde, Skulpturen, Fotografien und Filme aus der ganzen Welt. Von Eugène Delacroix über Max Beckmann bis zu Karl Lagerfeld. Kurator und auch Initiator des Festivals ist der Direktor der Kunsthalle, Roger Diederen.

 

HAUS GLANZ: "Wie ist die Ausstellung entstanden? Gab es ein Jubiläum, von dem wir nichts wissen?"

 

ROGER DIEDEREN: "Vor drei Jahren hat mich die Klassik Stiftung Weimar angesprochen, ob wir eine Goethe-Ausstellung machen wollen. Wir haben gesagt: Klar, großes und wichtiges Thema, da müssen wir gar nicht darüber reden. Aber was sollen wir zeigen? Wir hatten uns den ganzen Tag Zeit genommen, um zu überlegen, wie so eine Ausstellung zu Goethe aussehen kann, aber am Ende des Tages hatte ich nur ein mulmiges Bauchgefühl. Goethe ist ein riesiges Thema und wir sind eine Kunsthalle – kein Literaturhaus und kein Theatermuseum. Wir wollen Kunst zeigen. Es war mir dann schnell klar, dass wenn sich Künstler mit Goethe beschäftigt haben, dann mit dem Faust. Nicht mit dem Werther, nicht mit der Iphigenie oder was Goethe sonst noch geschrieben hat. (Anmerkung der Redaktion: zerkritzeltes Reclam-Heft, die Zweite!) Und da habe ich gesagt: Wenn wir das Projekt weitermachen, wird es ganz klar eine Faust-Ausstellung, weil dann kann ich die beste Kunst zeigen. Und so ist es gekommen. Es gibt kein Jubiläum, nur große Qualität. Und die reicht! Dafür muss Goethe auch nicht in München gewesen sein, denn dann dürfte ich auch keine Picasso-Ausstellung mehr machen."


Die Ausstellung führt den Besucher entlang verschiedenster Kunstwerke durch die Handlung des Stoffes: Mephisto, der Gelehrte Faust, die fromme Bürgerstochter Margarete. Der Pakt mit dem Teufel, die Verführung, die Hexen in der Walpurgisnacht – alles ist da und viel kommt aus der Erinnerung zurück. Theatralisch inszeniert (Engagiert wurde hierfür der deutsche Künstler und Bühnenbildner Phillip Fürhofer.), berührt DU BIST FAUST Geist und Sinne.

Frank Cadogan Cowper "Eitelkeit", 1907 57,1 x 38,1 cm, Öl/Leinwand Royal Academy of Arts, London © Royal Academy of Arts, London | Foto: John Hammond
Frank Cadogan Cowper "Eitelkeit", 1907 57,1 x 38,1 cm, Öl/Leinwand Royal Academy of Arts, London © Royal Academy of Arts, London | Foto: John Hammond

HAUS GLANZ: "Was ist an Goethes Faust so faszinierend? Warum hat gerade dieses Werk so eine Welle geschlagen?"

 

ROGER DIEDEREN: "Es ist einfach große Sprache, die Goethe da zu Papier gebracht hat. Hunderte Zitate, die man daraus anführen kann und jeder sagt: Ach, das ist aus Faust?! Das ist natürlich ein erster wichtiger Grund, warum das Werk so bedeutend ist. Goethe hat 60 Jahre lang am Faust gearbeitet und sein ganzes Können hinein gesteckt. Es steckt aber nicht nur sein ganzes Leben drin, sondern auch DAS ganze Leben drin. Wir erkennen uns alle im Thema wieder. Und das ist natürlich der Grund, warum es ein Klassiker ist. Nicht weil es ein Professor behauptet, sondern weil im Stoff Situationen vorkommen, in denen wir uns alle wiedererkennen. Zum Beispiel in dem großen Thema der Verführung: Wir schließen tagtäglich einen Pakt mit irgendeinem Teufel! Ich möchte etwas haben und wie weit bin ich bereit, dafür zu gehen? Das kennen wir alle. Das ist ein epischer Stoff, der über die Landesgrenzen- und sprachen hinaus verständlich ist."

Luis Ricardo Falero "Der Aufbruch der Hexen", 1878 145,5 x 118,2 cm, Öl/Leinwand © Privatsammlung, Monza – Italien
Luis Ricardo Falero "Der Aufbruch der Hexen", 1878 145,5 x 118,2 cm, Öl/Leinwand © Privatsammlung, Monza – Italien

Faust ist ohne Frage aktuell, denn er ist der Prototyp des modernen Menschen – rastlos auf der Suche, erreicht er jedoch nie das Ziel. Das Drama hinterfragt die menschliche Verführbarkeit, Moral und Gesellschaftsstruktur. Doch wie wird eine Ausstellung zu einem Festival in ganz München?

 

ROGER DIEDEREN: "Der Weg zu dieser Ausstellung, damit sie modern und spannend ist, war ein wirklich langer, aber wunderschöner Prozess. Währenddessen ist viel rausgefallen, was wir ursprünglich angedacht hatten, wie zum Beispiel Bühnenbildmodelle. Aber wir hatten einfach keinen Platz mehr. Ich habe dann einfach die Kollegen vom Theatermuseum angerufen und gefragt, ob sie nichts zur die Bühnen- und Performance-Geschichte des Fausts machen wollen? Und das ist schnell auf sehr wohlwollende und offene Ohren getroffen. Ich hatte dann diesen Traum, wie toll es wäre, wenn die Staatsoper und die Theater ihren Faust spielen – aber sie werden es nur machen, wenn sie davon wissen. Also habe ich vor zweieinhalb Jahren ein Faust-Frühstück organisiert und alle Kultur-Kollegen in München, von den Orchestern bis zu den Literaturhäusern, eingeladen. Ich dachte, wenn da zehn Leute kommen, ist es nett und vielleicht ergeben sich daraus zwei, drei Sachen. Why not... Da waren aber dann plötzlich 100 Leute! Da hing eine Stimmung im Raum, die war fantastisch! Max Wagner, Geschäftsführer vom Gasteig, war sofort Feuer und Flamme und gleich mit im Boot. Und so wurde das Faust-Festival geboren."

 

Das Faust-Festival ist das erste Mal, dass die ganze Stadt München sich kulturell bei einem Thema zusammenschließt. Und das in einer Größe, die in Deutschland seinesgleichen sucht. Es öffnet Augen, wie viel wirklich geht und wie gut Klein und Groß zusammenarbeiten können. Gerade die kleinen kulturellen Einrichtungen, wie Off-Theater oder einzelne Künstler haben durch diese alles überragende Dach-Struktur wie Webseite, Magazin oder Pressesprecher profitiert. Zum Vorteil für das Publikum: Zum Bergfest am 17. Mai wurden bei 350 Veranstaltungen und 33 Ausstellungen mehr als 125 000 Besucher gezählt.

 

ROGER DIEDEREN: So ein Festival geht natürlich nicht bei allen Themen, auch das muß man zugeben. Faust ist ein fantastisches Thema, da man es von so vielen Blickwinkeln angehen kann. Sogar die katholische Kirche hat etwas zum Thema gemacht. Die Kritiken im Gästebuch der Ausstellung sind zum Teil sehr rührend: Viele Menschen bedanken sich, da sie den Faust jetzt endlich verstanden haben. Da weiß man, man hat alles richtig gemacht.

 

Noch bis zum 29.07.2018 feiert die bayerische Hauptstadt das Faust-Festival. Wenn Sie sich in Zukunft nicht mehr auf Ihr seidenes Halbwissen zu Gretchen und Co. verlassen möchte, packen Sie Ihren Koffer und fahren nach München. Das schöne Palace Hotel bietet ein spezielles Arrangement zum Festival an. Alle Termine und Veranstaltungen der letzten Tage finden Sie unter faust.muenchen.de.





Alle Texthintergründe: Louis Ammy Blanc "Die Kirchgängerin" (Detail, gespiegelt u. koloriert), 1837, 115 x 84 cm, Öl/Lw. © LVR-LandesMuseum Bonn, Foto: Jürgen Vogel